Es ist jedes Mal erschreckend, wenn ich eine Pause von Social Media nehme. Wenn ich pausiere, lösche ich die Apps von meinem Handy, weil ich mir selbst nicht vertraue, nicht doch einmal zu spicken oder nur mal eben kurz zu schauen. Denn die ersten ein, zwei Tage kämpfe ich mit meinem passiven Konsumverhalten. Ohne bewusst zu entscheiden, dass ich Instagram öffnen möchte, ist mein Finger dabei, die App zu suchen. Bis mein Daumen in der Luft verharrt, denn die App ist ja weg.
Der Zwang, sich zu zeigen
Es ist schlimm, was für eine Abhängigkeit sich nach meiner Abstinenz jedes Mal wieder einspielt, obwohl ich – je länger ich pausiere – am liebsten nie wieder zurückkehren möchte. Es gibt nur drei Gründe, warum ich die Apps dann doch wieder installiere: Der Austausch mit den anderen, das Teilen meiner Kunst und all meine Erkenntnisse dazu, die Werbung.
Und ich liebe die Bubble, in der ich mich bewege. Alles sehr kreativ, sicher, eher links, queer, feministisch, sensibel und sanft. Und trotzdem verhindert das nicht, dass Social Media mir wieder und wieder Druck aufbaut und mir jedes Mal das Gefühl gibt, nicht zu reichen. Davon profitiert Instagram, weil ich umso mehr darum kämpfe, gesehen und wahrgenommen zu werden, weil ich mir denke: Wenn ich nur genug spannende Inhalte teile, beweise ich, gut genug zu sein. Aber wir wissen wohl alle, dass diese Spirale nie endet, wenn ich sie nicht aktiv in die Hand nehme und mich dagegen stemme. Und gegenüber wem will ich mich beweisen? Ich will doch nur Kunst machen. Trotzdem lande ich zu oft in diesem Zwang, mich zeigen und mir Inhalte überlegen zu müssen, weil ich neben den anderen untergehe. Lustig, dass mich das keine Sekunde kümmert, wenn ich Instagram nicht benutze.
Mir ist klar, wie schädlich Vergleiche sind. Mir ist klar, dass Instagram mir eine Scheinrealität zeigt, auch wenn ich noch so reflektierten und sensiblen Menschen folge. Und obwohl Vergleiche keine Gedankenspiralen mehr bei mir auslösen, sind sie trotzdem da und kribbeln im Bauch. Ich sehe die Bilder. Ich sehe die Stories. Ich sehe die Buch- und Agenturverträge, die fertigen Bücher, Coverflashmobs und wie Menschen an ihren Manuskripten aktiv arbeiten. Es stresst mich. Einerseits weil ich ständig das Gefühl habe, nicht genug für meine Kunst zu tun, andererseits weil Instagram mir den Eindruck vermittelt, dass Kunst Produkte hervorbringt. Dank Julia Camerons Buch „Der Weg des Künstlers“ ist mir aufgefallen, wie schwer diese Stimme in mir wiegt. Denn ich kämpfe damit, zu langsam zu arbeiten und ständig hinterher zu stolpern. Aber wem stolpere ich hinterher? Und Kunst ist kein Wettbewerb der Schnelligkeit. Trotzdem taucht in mir oft das Gefühl auf, produzieren zu müssen (nicht zu erschaffen oder zu spielen), sondern zu PRODUZIEREN. Wie eine Maschine. Aber Kreativität ist kein Endprodukt.
Es geht beim Kreativsein nicht darum, alles schnell zu beenden und ein Werk nach dem anderen abzuschließen und hinauszuwerfen. Ein Buch, eine Geschichte, ein Gedicht brauchen so lange, wie sie eben brauchen. Es ist was Anderes, wenn ich mich blockiere und aktiv davor davonlaufe (so wie vor meinem Exposé, zum Beispiel1) oder ob ich dranbleibe und trotzdem länger brauche. Kunst ist so ein fragiler Zustand, weil wir uns selbst dabei so ausgesetzt sind. Perfektionismus, Zweifel, Unsicherheiten. Blamiere ich mich damit? Ist das gut, ist das schlecht? Instagram lädt dazu ein, zu schauen: Wie machen das die anderen? Das kann inspirierend sein, aber eben auch frustrierend. Kunst ist fragil, weil uns eben niemand sagen kann, wie es funktioniert und läuft - Kunst ist frei von jeglichen Regeln. Denn auch wenn ich mich an Schreibratgeber halte, schreiben die mir nicht meine Geschichte. Sie liefern mir keine Emotionen. Mit jedem Text beginne ich von vorne. Es gibt keine Formel. Und wenn es eine gäbe, würde ich mich eh langweilen. Denn das ist es, was ich liebe an der Kunst: Der Hunger hört nie auf. Ich brauche jeden Tag eine kreative Mahlzeit und ich will nicht ständig dasselbe am Teller haben.
Im Zentrum des kreativen Abmagerns steht die Leugnung des Prozesses. Wir richten unsere ganze Aufmerksamkeit auf die erworbene Fertigkeit oder auf das erschaffene Kunstwerk. Diese Ausrichtung auf das Endprodukt ignoriert die Tatsache, dass Kreativität dem Prozess und nicht seinem Abschluss innewohnt.
Julia Cameron: Der Weg des Künstlers
Social Media zeigt mir aber kaum Prozesse, weil es – logischerweise – viele als Gratiswerbung verwenden. Und selbst wenn ich mehr Menschen im Prozess sehen würde, würde das nur das Gefühl in mir wecken, dass ich auch gerade am Schreibtisch sitzen und machen sollte. Meine Marktfreundin hat da letztens was sehr Kluges gesagt, auch Kea von Garnier hat da gerade einen Artikel darüber geschrieben: Wir können manche Dinge kaum noch genießen, weil wir in allem einen Zweck suchen. Ich kann nicht einfach nur malen, ich muss großartige Kunstwerke produzieren. Ich kann keine Fanfictions schreiben, die bringen kein Geld. Ich kann nicht tanzen, wenn ich nicht anstrebe, meinen Körper zu optimieren. Wir haben keine Hobbys mehr. Ich sehe Instagram und denke an Arbeit. Denke daran, mich zu verbessern. Denke daran, dass ich noch mehr machen und schreiben muss, anstatt mir vielleicht mal zu denken, dass ich die App als ein digitales Museum betrachten könnte. Als eine Ausstellung, eine Lesung. Ich brauche mich nicht ständig zu optimieren und zu verbessern und weiterzubilden, ich darf Dinge rein aus der Freude an der Sache tun.
Ich finde es anstrengend und ermüdend – Instagram frisst viel Zeit und Aufmerksamkeit, in der ich eigentlich an meinem Exposé arbeiten könnte2. Und es löst Gefühle in mir aus, die ich leid bin, reflektieren und aussitzen zu müssen, wenn ich sie eigentlich vermeiden könnte: Ich möchte nicht das Gefühl haben, in der Masse unterzugehen. Ich möchte mich nicht damit stressen müssen, schnell ein Buch zu schreiben, um … was eigentlich? Es macht mir so keinen Spaß. Und trotzdem weiß ich nicht, wie ich eben alternativ für meinen Blog, meine Geschichten und meine Kunst werben bzw. in einen so vielseitigen Austausch mit anderen Menschen treten kann. Außerdem liebe ich es, Bilder zu machen und zu gestalten. Ich liebe es, die Gedanken anderer Menschen zu lesen, wie sie ihre Hoffnungen und Ängste teilen. Mir Texte zu überlegen. Ich mag es, Instagram wie ein Miniatelier zu führen. Also ja, ich werde auf Instagram wieder aktiv sein. Ich weiß nur noch nicht, mit welchem Zeitaufwand. Und mit welchen Inhalten. Denn wie weit darf ich gehen? Wie ehrlich darf ich mich zeigen?
verwundbarkeit vs. scham
Ich solle mich nicht so verwundbar zeigen. Und bis heute frage ich mich: Wie viel Verwundbarkeit mute ich meiner eigenen Kunst zu? Wo ist die Grenze? Gibt es eine Grenze? Wenn es als Künstlerin rein meine Aufgabe ist, Kunst zu machen und nicht zu bewerten, warum wage ich dann nicht alles?
Meine langjährige Schreibmentorin sagte oft, dass sie es nicht aushalte, wenn manche einen Seelenstriptease3 durch ihre Texte hinlegen. Da schämt man sich ja schon als Außenstehende! Das war immer die Grenze: Wenn Texte unangenehm waren, wenn sie die schreibende Person entblößten, wenn wir als Lesende begannen, Scham zu empfinden. Wir druckten eine Zeitung zweimal im Jahr und ich erlebte oft, wie sie manche Texte - auch meine - nicht drucken wollte, weil sie zu viel “offenbarten”, weil sie zu nah an dem Menschen dran waren. Sie tat das nicht aus böser Absicht, sie sah sich in der Verantwortung, die Menschen zu schützen. Denn was würde das nur für ein Bild nach außen geben? Sie mochte es nicht, wenn Distanz zum Thema fehlte und/oder Menschen dieses noch nicht genug verarbeitet hatten, als würden die Texte frisch bluten. Was würden die Menschen denken? Was würden sie sagen? Wie würden sie eine dann sehen und was würden sie daraus machen, wenn sie wüssten, was die wunden Punkte sind?
Ich erinnere mich, dass eine Freundin von mir einen unfassbar sprachgewaltigen Text über ihre Essstörung geschrieben hatte, denn meine Schreibmentorin nicht drucken wollte, weil ihm die persönliche Distanz fehlte. Meine schreibende Freundin war nicht enttäuscht (ich schon, ich fand den Text hervorragend und inspirierend), stattdessen teilte sie ihn auf Social Media und bekam so viele Reaktionen darauf wie noch nie - der Text wurde zigmal geteilt und bewegte viel in ihrem Umfeld.
Also: Können Menschen wirklich nicht damit umgehen, wenn wir uns verletzlich zeigen? Ist das zielgruppenabhängig? Trauen wir den Menschen keine Wunden mehr zu? Keine Ehrlichkeit? Keine Menschlichkeit? Warum schämen sich andere Menschen für fremde Wunden? Wenn andere Menschen sich für meine Texte schämen, hat das dann wirklich was mit mir zu tun?
Denn ich habe vergessen, wie das ist, wenn Texte mich befreien. Ich habe vergessen, wie das ist, Texte in die Welt zu schicken, die wehtun. Es ist gerade Wettbewerbszeit und ich schicke ein. Ich schreibe. Ich stelle mich. Für eine Ausschreibung habe ich eine Textsammlung (ich nenne sie gern EP, weil sie nie als Album gedacht war) ausgepackt, mit der ich mich ständig selbst zum Weinen bringe. Als ich mich mit einer Freundin darüber ausgetauscht habe, bestärkte sie mich darin, sie weiterzuverfolgen und mich gleichzeitig nicht damit kaputt zu machen. Denn die Geschichte ist so voller Gewalt, dass ich Gefahr laufe, mich selbst zu triggern und auch sehr lange das Gefühl hatte, sie deswegen nicht zu Ende zu schreiben. Aber ich werde die EP vollenden, für die Ausschreibung brauchte es aber nur Auszüge. Allein sie auszudrucken war gut. Und sie einzupacken noch besser. Die EP hat noch niemand in meinem Umfeld gelesen. Das passiert nie, wenn ich Texte wo einreiche. Aber ich habe es getan und mir ein Stück Licht damit zurückgegeben.
Denn es ist absolut heilsam für mich, schwierige Dinge in der Kunst zu benennen und aufzeigen zu dürfen. Ich habe Texte geschrieben, die vielleicht nicht gut waren und die ich mir frisch aus den Rippen gebrochen habe, die verdaut hätten werden müssen, denen Distanz vielleicht gut getan hätte, aber bei aller Hölle, es war gut, sie laut vorzulesen oder einzuschicken oder zu veröffentlichen. Kunst darf im Moment leben. Sie darf uns stützen und sie darf uns Farbe geben, wenn wir gerade drohen, zu erblassen. Kunst hilft mir, mir selbst zu zeigen: Das ist der Schmerz, den ich erlebt habe, ich heile weiter. Das ist die Wunde, in der ich sitze, aber nicht für immer.
Als Ingeborg Bachmann den Hörspielpreis der Kriegsblinden erhielt, sagte sie in ihrer Rede:
So kann es auch nicht die Aufgabe des Schriftstellers sein, den Schmerz zu leugnen, seine Spuren zu verwischen, über ihn hinwegzutäuschen. Er muß ihn, im Gegenteil, wahrhaben und noch einmal, damit wir sehen können, wahrmachen. Denn wir wollen alle sehend werden.
Es ist wohl eine ihrer bekanntesten Reden - sie erzählt davon, dass es unsere Pflicht als Schreibende sei, den Menschen die Wahrheit zu erzählen. Denn “die Wahrheit nämlich ist den Menschen zumutbar”. Daher plädiere ich dafür, dass den Menschen auch unsere Wunden zumutbar sind.
Die nächste Kurzgeschichte im Juni für Paid-Abonnent:innen wurde von einer Wunde inspiriert; sie heißt LIONEL. Sie erzählt von Gewalt und einer schädlichen Beziehung. Sie kommt am 20. Juni und hier sind die ersten Sätze:
KOMM WIE DU BIST
Ich durfte mit der Hexe ein unfassbares Konzert besuchen, von dem wir wohl beide nicht ahnten, dass es uns so berühren und füllen würde. Ich war vermutlich auf einem der besten Konzerte jemals. Wilhelmine lieferte mit ihrer Band eine Bühnenshow, die mich mit Endorphinen berauschte und so glücklich machte, dass ich mehrfach während des Konzerts Tränen in den Augen hatte.
Das Publikum brachte schon mal angenehme Voraussetzungen mit: Über 90% waren Frauen*. Ich habe noch nie so gut auf eine Bühne gesehen, ich wurde noch nie so wenig geschoben, obwohl wir relativ weit vorne standen. Und. Die. Stimmung. Wilhelmine lebt Musik. Ich glaube nicht, dass ich schon mal eine Künstlerin gesehen habe, die so sehr mit dem verschmilzt, was sie singt, die so sehr in der eigenen Musik verloren geht. Es war ein unfassbares Gefühl von Verbundenheit zu spüren. Und gleichzeitig war so deutlich, dass Wilhelmine die Künstlerin ist, sie ging nicht in der Masse unter, sie ließ uns teilhaben. Es fühlte sich so an, als würde sie das gesamte Publikum halten.
Die Gefühle rauschten durch mich hindurch. Das erlebe ich oft, wenn ich Live-Musik höre. Ich denke sofort an die Hauptfigur aus meiner EP, weil er Musiker werden möchte, weil er es nach ersten Erfolgen massiv verkackt und schließlich all seine Hingabe, seine sensible Art, seine Vergangenheit in die Musik bricht, schreit, strampelt und weint, um sich selbst zu befreien. Und Wilhelmine unterstreicht meine Träume mit ihren Worten: Mach es. Sei es. Leb es. Das erste Mal machte mich der Gedanke an die EP nicht traurig oder wütend, das erste Mal hatte ich das Gefühl, dass die Welt die Geschichte sehen und erleben sollte. Denn es ist eine Wahrheit, die ich erzähle und: Sie ist den Menschen zumutbar.
Ich fühlte mich unfassbar willkommen in der Menge und kein Bisschen einsam oder Fehl am Platz. Es war so normal, zu tanzen, zu singen, zu klatschen und sich zu freuen. Ich war unfassbar fasziniert davon, wie Wilhelmine sich zu ihrer eigenen Musik bewegte, wie sie schrie (ohne Mikro und trotzdem lauter als die Menge, wie auch immer sie das gemacht hat) und uns aufforderte, mitzumachen. Obwohl ich nicht alle Lieder kannte (oder mitsingen konnte), war mir niemals langweilig. Die Frau ist so da. Die Bühnenpräsenz wummerte mein Herz wach und lud es zum wilden Herumspringen ein. Es war absolut großartig.
Denn es hat mich mehrfach daran erinnert, warum ich so gerne Künstlerin bin. Warum ich es liebe, mich in Worten zu verlieren und in Geschichten zu sitzen, sie auszukosten und verschiedene Dinge zu probieren. Das Konzert, die Performance, die Stimmung. Wilhelmine und ihre Art, Musik zu leben, haben mich daran erinnert, warum ich es liebe, zu schreiben.
Ansonsten freue ich mich sehr über einen Like, einen Kommentar oder einen Restack. Lass mich gerne wissen, was du dazu denkst, wie viel Verwundbarkeit die Kunst und die Menschheit vertragen!
Und wo wir schon darüber reden, ich darf für das projektvisible und den Verein Jojo einen Schreibworkshop für junge Menschen mit psychisch erkrankten Eltern geben:
bleibt bunt und offen, meine lieben. Wir lesen uns!
das jetzt aber auch in seiner zweiten Fassung erstmal abgeschlossen ist und ich an meine gutachterin verschickt habe! :D
ratet mal, was ich in der social media freien zeit getan habe und warum es fertig ist, hihi.
es gibt kein Wort, das ich so verabscheue. dieses wort ist die ausgeburt der scham. und ich kann mir keinen kontext denken, in dem es nich dazu dient, andere menschen kleinzuhalten, wenn sie mutig genug waren, zu erzählen, was ihnen auf der seele liegt.
Ich erkenne diese Gedanken wieder, weil sie mich erst kürzlich am 🦋-Buch zweifeln ließen. Darf ich so etwas Persönliches in die Welt schicken? Und auch auf Instagram merke ich, wie ich mich immer mehr zensiere. Das war im Musikzitatemai schön; ich habe dann einfach aufgehört, Texte teilen zu wollen. Und es war so befreiend!