Bumm. Bumm. Bumm. Ständig ist wer zuhause, ständig bin ich irgendwo. Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Stille reindarf, dafür habe ich jetzt endlich eine Küche. Es lebe die Spüle, es lebe eine Arbeitsfläche und der Backofen. Ich bin dankbar um die Ordnung, langsam bekommt alles seinen Platz und mir fällt es leichter, auch meinen zu finden. Ich sehne mich nach Ruhe, nach einer Pause, nach „Ich vergrabe mich jetzt mal drei Tage lang im Bett“. Mir fehlt das Lesen. In diesem Jahr habe ich so wenig gelesen wie noch nie, normalerweise segle ich zwischen einem Pensum von fünfzig und sechzig Büchern. Heuer sind es zwanzig und es werden vermutlich nicht mehr mehr.
Es wird wieder Zeit, so etwas wie Wochenende einzuführen. Durch die Arbeit am Markt (Donnerstag und Samstag) machte ich zwar meistens in den ersten Morgenstunden Mal Pause, landete dann aber doch irgendwann am Laptop, um irgendwas zu tun: Sei es Schreibkurs, Blog oder Geschichten.



Da warten die Gräber
Und trotzdem stolperte ich in diesen Oktober mit einer Erschöpfung, die ich im ersten Moment nicht erklären konnte. Ich wollte so dringend bei Rauris mitmachen, aber die Geschichte, die ich begonnen hatte zu schreiben, ließ sich nicht ausformen. Mir fehlte der Faden, der Konflikt, nichts kam mir aufregend genug vor, gleichzeitig wollte ich verhindern, zu sehr in die Surrealität abzudriften. Zur Vorbereitung dieses Wettbewerbs kamen meine besten Eigenschaften zum Vorschein: Verurteilung für die Art, wie ich Geschichten schreibe, Stress, weil ich nicht damit aufhören kann, schräge Ideen zu haben, Druck, weil die Zeit läuft und ich keine Diamanten werfe, sondern Sand, der erstmal geformt werden will.
Wie soll es anders sein? Ich entscheide, loszulassen, nicht mitzumachen und mein Künstlerkind so: Zack-bumm! Plötzlich sitze ich da, um eine Geschichte zu schreiben, über das ausgeschriebene Thema Zuhören und schreibe, schreibe, schreibe. Rohentwurf da. Notizen dazu. Und trotzdem reiche ich nicht ein und bleibe dabei, ihn vorbeiziehen zu lassen. Denn die Geschichte, die da rauswollte, ist schon wieder so persönlich und brutal, dass ich beim Abtippen der Rohfassung jeden Absatz Pause machen und durchatmen musste. Für solche Texte brauche ich längere Überarbeitungsprozesse, weil ich sonst drohe, in der Wut zu verschwinden und zeilenlang nur zu schimpfen.
Es ist eine Familiengeschichte. Da kam eine Frage aus mir gekrochen, die meine Finger kribbeln ließ und wo ich mir dachte: Boah, darauf will ich eine Antwort finden! Keine Ahnung, wann ich sie beende, ich bin immer noch dabei, den Rohentwurf abzutippen, klopfe Notizen in mein Handy. Es ist eine Abrechnung, bitter und böse, und was ich daran besonders mag, ist: Auch ich kann nicht fliehen. Die Geschichte beäugt eine Seite der Familie, nur um dann bei mir zu landen.
Das habe ich auch bei weiterschleichen nahezu genossen, dass ich nicht vor meiner Verantwortung davonlaufe. Ich behaupte nicht, dass meine Perspektive auf die Schule und die Klassengemeinschaft die richtige ist, aber es ist die, die sich für mich wahr anfühlt. Der Eisenpanzer. Die Ignoranz. Und ich mittendrin. Ich bin keine Heldin in weiterschleichen, sondern eine, die schweigt. Bei einer Lesung in der Schule bekam ich sehr persönliche Fragen dazu gestellt. Ich wurde gefragt, ob ich es bereue, dass ich nie mit Aleksander gesprochen und nichts gesagt habe. Und natürlich bereue ich es. So ist das. Es tut mir leid, aber ich kann es ihm eben nicht mehr sagen. Und das ist die Wahrheit, das sind Gefühle, die ich in mir trage – parallel und die sich widersprechen können – aber die hier sind und ein Recht darauf haben, gesehen zu werden. Vielleicht sogar ausgesprochen zu werden. Denn das ist die Sache mit der Scham: Wir treffen Entscheidungen (oder eben auch nicht), die uns später in den Abgrund ziehen wollen. Eine Reue, die uns überfällt und wir glauben, uns in diese Ohnmacht einwickeln zu müssen. Aber Schreiben ist eben auch das Schaffen von Räumen und das heißt: Ich nehme mich bei der Hand. Ich lasse nichts über mich ergehen, sondern ich schaue dieser Angst ins Gesicht und stelle mich meiner Verantwortung.
Ähnlich geht es mir mit der Familiengeschichte: Ich grabe diese Wahrheit aus. Gleichzeitig fühle ich mich im ersten Moment wie eine Rächerin. Auch bei der Schulgeschichte dachte ich mir: Boah, was ist, wenn das wer findet, der mit mir zur Schule gegangen ist? Bei wortwund dasselbe, es gibt Passagen (die findet ihr sogar sehr leicht, wenn ihr meine neue Kurzgeschichte lest!), die aus meinem Leben stammen. Aber wovor habe ich konkret Angst? Dass Menschen mir meine Wahrheit absprechen? Meine Gefühle? Ich kann das halten. Denn da ist was aus meinen Eltern gebrochen, als sie wortwund lasen. Da gab es lange Gespräche – selbst mit meinem Vater. Und es war für unsere kleine Familie ein unfassbar heilsames Erlebnis.
Worte verändern.
Es war immer schon ich diejenige in der Familie, die ganz viele Fragen hatte – ich habe es geliebt, wenn mir Tanten und Onkeln Anekdoten aus ihrer Kindheit erzählten und konnte stundenlang zuhören. Ich habe meine Omas durchbohrt. Ich wollte wissen, wie ihnen die Schule gefallen hat, wie ihre Hausaufgaben aussahen. Später interessierte ich mich dafür, wer ein Nazi war, wer in den Krieg musste, was die anderen getan haben, alles über die Kälte, den Hunger, was sie mir sagen konnten.
Und ich fühle mich, als würde ich meine Familie aus der Asche graben. In der Geschichte geht es gar nicht um den Krieg, sondern um das, was bleibt. Um Trauma. Um Verhaltensweisen. Um Kinder, die Eltern sein sollen. Ich weiß nicht, was die Geschichte am Ende in mir löst, aber ich schmecke jedes Wort, die Bitterkeit und weiß: Da baue ich Emotionen ab. Deswegen ist es – wie alle meine autobiographischen Texte – eine Abrechnung: Sie hilft mir dabei, zu verarbeiten. Ich lasse das nicht auf mir sitzen. Ich verpasse immer die Momente, um aufzustehen und auf den Tisch zu hauen, aber das bedeutet nicht, dass ich nicht wahrnehme, was passiert. Ich schaue zu. Ich fühle mit. Ich werde begraben. Und ich reiche Wörter nach, um mich aus diesen Gräbern wieder zu befreien. (Ich hab meine Eltern übrigens schon vorgewarnt.)
Ich grabe weiter.
Lass mich mal probieren!
Was ich mir nie erwartet hätte, einmal zu sagen, ist: Ich bin bereit, alles falsch zu machen. Ich bin bereit, ein schlechtes Buch zu schreiben und zu veröffentlichen – was auch immer „schlecht“ bedeutet. Aber in dem Fall heißt es: Ich schreibe. Ich folge dem Prozess, ich folge meiner Kunst, das Resultat spielt keine Rolle. Das hat mir früher immer so furchtbare Angst gemacht: Was soll ich tun, wenn die Menschen mich für eine schreckliche Künstlerin halten?
Nichts, denn dann halten sie mich zumindest für eine Künstlerin.
Bewusst wurde mir das, als ich ein sehr spannendes und intensives Wochenende mit zwei Schreibenden zum Thema Plotting und Geschichtenaufbau verbringen durfte. Wir orientierten uns einerseits an „Save the cat!“ und „Wired for story“. Für mich auch deswegen so spannend, weil ich mich mit dem Aufbau von Geschichten in dieser Theorie noch nie auseinandergesetzt habe. Manche von den Punkten kamen mir schlüssiger vor als andere. Auch meine Fantasytrilogie darauf umzulegen, war eine interessante Erfahrung und ich werde mich definitiv weiterhin an dem Aufbau orientieren. Davor habe ich mich sehr an den 12 Schritten aus Kea von Garniers Plot-Kurs gehalten, der sehr ähnlich ist zu „Save the Cat!“, das manche Dinge – wie auch eine Freundin an dem Wochenende angemerkt hat – besser erklärt.
Und trotzdem merkte ich mit jedem weiteren Schritt: Es revidiert die Schreiberfahrung nicht. Mir wurde das erste Mal klar, dass ich immer beides brauchen werde: Theorie und Praxis. Vielleicht sogar eher die Kategorie bin, die mehr Praxis macht, weil ich vor allem durch Fehler lerne. Nichts hat mir so viel beigebracht wie mein erster Fantasyroman: Ich hab einfach mal geschrieben und nicht lange nachgedacht, ich hatte einen sehr groben Plot, an den ich mich gehalten und entlang gehantelt habe. Mir kann die Theorie davor schon sagen, dass jede Szene einen Zweck braucht, warum sie im Buch landet. Und trotzdem war mir nicht klar, wie viel ich am Ende streichen kann, weil ich anfangs dachte, es zu brauchen, sich aber als unnötig herausstellte.
Als Halbgermanistin war ich immer schon viel mit Theorie und Worten umgeben. Mit unterschiedlichen Schreibstilen. Ich dachte lange, jeder Satz, den ich schreibe, muss sitzen. Beim ersten Mal. Das soll immerhin ein Roman werden und ich meine es ernst. Es braucht die Figurentiefe, ich muss mein Magiesystem von vorne bis hinten definiert haben, all die Nebenstränge müssen ausgearbeitet sein, bevor ich beginne zu arbeiten. Hat ein bisschen gedauert, um zu merken: Das ist nicht meine Art zu arbeiten. Ich brauche das Chaos, ich brauche es messy, dafür überarbeite ich lange und viel. Dafür werde ich am Ende von Band 3 nochmal alle Teile lesen und verfeinern und rausschmeißen, was ich nicht brauche. Und das ist okay. Es ernst zu meinen bedeutet nämlich nicht, es perfekt zu machen, sondern anzufangen und sich ins Chaos zu stürzen.
Ich gebe mir nie Zeit, ich will es schnell machen und gut, ich will all diese Geschichten aus meiner Welt erzählen, jede einzelne, die mir schon seit Jahren im Kopf schwebt. Aber Stress führt mich nicht schneller ans Ziel. Und Perfektion bricht mich auseinander.
In meiner letzten Schreibkurseinheit im Oktober habe ich gesagt: Keine Theorie, die ich euch zeige, schlägt die Praxis. Nichts davon ist besser als das Schreiben selbst. Alles ist Übung. Oder, wie meine Autorinnenfreundin Karla letztens sagte: Wir brauchen die Iteration. Wir nähern uns der Handlung einer Geschichte an, in dem wir probieren, probieren, probieren, bis das Ergebnis da ist, das wir wollen. Es ist großartig – und ich hätte nie gedacht, dass aus mir doch noch eine Wissenschaftlerin wird, die statt mit Reagenzgläsern und Formeln mit Handlungssträngen und Plottwists spielt.



Je länger ich schreibe, umso leichter wird es, Fehler zu machen. Manchmal schiebe ich echt die Krise. Und umso feiner ist es, wenn Karla mich daran erinnert, dass ich noch nie eine Trilogie geschrieben habe und dass gerade mein erstes Mal ist. Da darf ich patzen. Und ich finds super, zu patzen. Wer wirft nicht gern mit Farbe um sich? Vielleicht sollte ich mich mal wieder anmalen, hihi.
Und was mir der Oktober auch gezeigt hat, ist: Dankbarkeit. Für all die Menschen, die in meinem Leben sind, die mich halten, die ich halte. Die Werte, die sie mir zeigen, die Liebe, die sie mir schenken und die ich erwidern darf. Ich bade in Liebe. Um mich herum sind Menschen, die nehmen mich ernst, die sehen mich, die schenken mir Aufmerksamkeit und zerbröseln meine Träume nicht mit ihren Zweifeln, sondern lassen mich die Zigarette rauchen, wenn ich knapp an der short list vorbeirattere.
Es ist das krasseste Gefühl gewesen, den zweiten Band auszuschicken und zu wissen: Der zeigt mehr von meiner Fantasywelt. Der offenbart ein bisschen mehr, was ich plane. Und das Ende ist das lustigste Chaos, das ich mir wünschen kann. Ich liebe chaotische Fantasy, ich liebe unpassende Witze, ich liebe Figuren, die sich ein bisschen anders verhalten.
Und was freue ich mich auf den Tag, wo ich zu der gesamten Welt sagen kann: Willkommen in meiner Welt. Willkommen in meinem Zuhause.
Und ich freue mich wie immer über eure Unterstützung, wenn ihr den Artikel restacked (teilt) oder ihm ein Herz gibt, einen Kommentar dalässt oder mit Menschen teilt, die die Kunst auch so lieben. Danke euch!!!
Danke, dass du deine Erfahrungen teilst. ❤️🩹 Ich kann das mit dem Schnell-machen-wollen so gut nachfühlen, weißt du ja. Lass mal weiter ausprobieren und Fehler machen und Chaos stiften und bunt bleiben. Das vor allem. ✨