Ich überquerte die Straße und rannte an der Salzach entlang. Die Lichter im Wasser verfolgten meinen Sprint, während ich vor einer Gedankenkette aus „Warums“ davonraste. Ich war noch nicht mal dreißig Meter gelaufen, als ich schon keine Luft mehr bekam und aufhören musste. Die Stimme meines Vaters zischte wie eine Rakete durch meinen Kopf: Für einen Mann eine ziemlich erbärmliche Leistung – kannst du oder willst du nicht rennen?
Ich schleppte mich über die Staatsbrücke, wich betrunkenen Menschen und ihren Schweizerkrachern aus. In der Stadt tummelten sich die Leute, um das neue Jahrtausend zu feiern, was hauptsächlich aus Saufen, Feuerwerk oder Kotzen in die Salzach bestand.
Es war zu kalt, um nur mit einer Fleece-Jacke durch Salzburg zu laufen. Mein Wintermantel hing immer noch in der Bar…
Ich schlich mich über den Zebrastreifen, vorbei am Rathaus, hinein in die Getreidegasse. Ich zweigte ab. Wieder und wieder. Rempelte Menschen an. Mischte mich unter Gruppen, obwohl der Geruch nach Bier und Zigaretten meinen Würgereiz herausforderte. Ich verschwand hinter jeder weiteren Mauer, in jeder Gasse, die sich mir bot, damit Nina mich nie wieder finden konnte.
Ich kam ausgerechnet vor einer Bar zum Stehen, um die ich sonst immer einen Bogen machte.
Das Atraxas. Die Sternenbar. Eine kleine Stube und nicht sehr auffällig. Aber aktuell die einzige Bar für Menschen mit Magie in Salzburg. Früher war ich der Bar ausgewichen, weil mein Bruder hier dauerhaft aufzufinden war. Heute besuchte ich sie nicht, weil ich nichts mit Magie zu tun hatte. Genau wie Nina. Obwohl unsere Familien vor Magie strotzten, hatten wir einen amagischen Weg eingeschlagen und wurden allein deswegen geächtet. Das hatte uns verbunden: Beide hatten wir ältere Geschwister, die magische Berufe ausübten. Sie waren das Gold der Familien, diejenigen, mit denen du angabst bei Geburtstagen und Julfest, die großen Schiffe, auf denen du jede Erwartung stapeln konntest, ohne dass sie sanken.
Denn Nina und ich waren mehr so Nussschale mit Leck und zu vielen Büchern. Kannst du oder willst du kein Elementar sein?
Mein Bruder war auf keinen Fall hier – er hatte mittlerweile ein Kind und saß sicherlich zuhause mit seiner Frau. Trotzdem zögerte ich.
Für mich gab es keine Magie, nur Worte, die mich nicht so ernährten, dass meine Familie mich in Ruhe ließ. Für mich gab es keine Zauber mehr, keine Beschwörungen und keine Tränke, die ich verschütten konnte. Nur Kafka, Aufklärung und Professor:innen, die sich ständig über mein Doppel-s in Süsskind wunderten.
Aber mir war echt scheißkalt. Und Nina würde mich hier niemals suchen.
Als ich die Klinke berührte – die magische Schwingungen aufnahm und sich nur dann öffnete – glaubte ich kurz, sie bliebe verschlossen.
Doch die Tür schwang auf und rosafarbener Rauch schlug mir entgegen. Es roch nach Apfeltaschen, Zimt und Karamell. Ich atmete tief durch, aber ließ mich von der Wärme weiter hineinziehen. Meine Brille lief an und ich schob sie in meine Haare. Auch hier tummelten sich gut drei Dutzend Menschen und quetschten sich abwechselnd in Richtung Bar oder Toilette. Etwas flog über die Decke, pfiff wie Feuerwerk und zersprang lautlos in buntem Konfetti. Ich setzte meine Brille wieder auf.
Ich versuchte, niemanden auf den Fuß zu treten, vermied Körperkontakt, so gut es ging, und wurde wie von selbst zur Bar geschwemmt. Dort klammerte ich mich an den Tresen, als könnte mich die nächste Welle Menschen sonst wieder mit sich reißen. Mein Blick glitt durch die Inneneinrichtung der Bar, die ich viel weniger freundlich in Erinnerung hatte. Früher reihten sich teure Flaschen von Blütenwein und Zunderbrand aneinander – wenn man sie anfasste, verrieten sie einem, ob du sie trinken solltest. Überall prangten Wappen von den verschiedenen Ortschaften Tewras, gemeinsam mit Trophäen, Schwertern, Kronen, die die Alten Artefakte darstellen sollten. Mein Bruder hatte mir erzählt, wie sie manchmal Geschichten nacherzählten – wie Miniaturfiguren sich auf den Wänden bekämpften, verliebten, töteten oder feierten. Auch die Musik war anders: Während früher magrische Flöten durch die Boxen klangen, ertönten nun vermehrt die aktuellen Charts der Erde. An den Wänden sammelten sich nun Bilder in verschiedenen Größen, Steuerräder in Miniaturform, Muscheln, Seesterne, aber auch Totenköpfe, die in unterschiedlichen Farben leuchteten, und Efeuranken. Ein riesiger Mond prangte an der Decke.
Segelschiffe rasten über die Wände und die Balustraden. Sie bewegten sich kopfüber über die Decke und sammelten manche der Sterne auf. Wenn Shots bestellt wurden, flogen die Schiffe zu den Personen aus. Sterne nippten währenddessen an den Gläsern oder pusteten hinein, sodass der Alkohol zu glitzern begann.
Die Sehnsucht in meiner Brust brachte mich fast um. Menschen, die keine Magie beherrschten, und von ihr träumten? Traurig. Menschen, die Magie beherrschten, aber sie nicht ausüben wollten, und von ihr träumten? Erbärmlich.
Als I want it that way von den Backstreet Boys erklang, drehte jemand die Musik lauter. Die gesamte Bar vibrierte. Menschen stiegen auf die Tische, um mitzusingen und zu tanzen. Eine Frau mit silbernen Haaren kletterte auf den Barhocker und wippte mit der Musik, sodass die Pailletten auf ihrem Kleid zu hüpfen begannen. Die Segelschiffe schlugen Loopings. An den Wänden forderte eine Muschel einen Seestern zum Tanzen auf. Mein Herz glitt über die Ausgelassenheit, die Leichtigkeit, das Wilde. Und blieb ausgerechnet an zwei jungen Männern hingen, die auf einem der Tische tanzten und sich aneinanderschmiegten. Rücken an Brust. Hände an den Hüften. Lippen im Nacken.
Einer trug diese peinlichen 2000-Brillen, der andere trug eine Plastikkrone. Sie bewegten sich im Rhythmus und ihre Becken trieben aufeinander zu, bis sie aneinanderklebten. Die Hitze auf ihren Gesichtern, wie der eine grinste und der andere sich auf die Zungenspitze biss – mein Bauch verknotete sich. Ein Prickeln sauste durch meinen Körper, als hätten sich die Sterne unter meine Haut geschlichen. Ich konnte nicht wegsehen, ich wollte nicht wegsehen. Die hintere Person schlang die Hände um ihren Tanzpartner und sie wanderten seine Hose entlang, unter das Hemd, legten sich auf seine Haut. Wie fühlte sie sich an? Heiß? Weich? Verschwitzt? Hitze stieg mir ins Gesicht, in die Fingerkuppen, in den Bauch. Sie wanderte tiefer. Mein Herzschlag so fest in meiner Brust, dass mir der Atem stockte. Der vordere Mann lehnte sich zurück, ruhte seinen Kopf auf die Schulter des anderen und dann. Küssten. Sie. Sich.
Ihr Kuss riss an meinem Herzen, als würden sie mich aus dem Winterschlaf zerren, als würden sie mich ins Leben zurückholen. Ich wollte jemanden, der mich so berührte, so küsste, so anfasste. Wild. Ohne Angst. Mitten in einer Bar. Zwischen Schneeflocken und unter einer Straßenlampe. Auf einem Tisch, peinlich angezogen. Jemand, der mich so küsste, dass ich das Feuerwerk vergaß und mich nicht mehr erschrak. Es gar keine Rolle mehr spielte, welches Jahr wir hatten, weil wir die Zeit zwischen Laken, Kaffee und Fummeln verlieren würden. Vielleicht mit einem Stapel Bücher am Nachtkästchen.
Die beiden führten ein Laken-Kaffee-Knutschen auf. Und was bekam ich? Männer, die mein Herz als Dartscheibe verwendeten und sich die Pfeile immer dann zurückholten, wenn sie sich langeweilten. Männer, die nie mit mir gesehen werden wollten, nirgends. Männer, die mir sagten, dass sie das eigentlich nicht machten, aber da ich ja gerade da war … Selbst das neue Jahr hatte für mich mit einem Zungenkuss meiner besten Freundin gestartet. Wie reagierte ich? Ich rannte davon. Und: Ich konnte nur an meinen Vater denken. An meinen Bruder. An meine Oma. Daran, wie mein Vater mir erklären wollte, was ich im Bett mit einer Frau zu leisten hatte. Wie Oma sagte, dass ich mir als Mann schon meine Hörner abreiben durfte (ja, ich kotze da auch immer) und trotzdem nicht zu lange Single bleiben sollte. Mit Fast-Dreißig, da sollte Mann doch … Mein Bruder erklärte mir, wie das mit dem Anlachen einer Frau funktionierte. Wollte mich mitschleppen und mit Freundinnen von seiner Frau verkuppeln.
Nina und ich hatten uns geschworen, das Jahrtausend mit einem Geheimnis einzuläuten. Und während sie mich mit einem Kuss überfiel, wollte ich ihr eigentlich gerade erzählen, dass ich auf Männer stand.
Kannst du oder willst du Nina nicht küssen?
Ich wand mich von den beiden Männern ab und flüchtete auf die Unisex-Toilette. In Tewra war die Sache mit der Sexualität in manchen Regionen einfach kein Thema – es spielte keine Rolle. Aber wenn meine Eltern irgendwas gern übernommen hatten, dann war es jegliche Art von Ausgrenzungen und Diskriminierungen. Sie wussten nichts von mir. Mein Vater riet mir, mich mal wie ein echter Mann zu benehmen, weil die Frauen darauf abfuhren. Mehr Muskeln, die ich durch Training mit den Elementen erreichen könnte. Einen Haarschnitt und eine Kleidung, die nicht aus allen Farben krachte. Ein Studium, mit dem ich wirklich einmal Geld verdienen könnte. Denn das beeindruckte, das versprach Sicherheit.
Am Weg zur Toilette meinte es das Universum richtig gut mit mir: Ich stolperte auf dem Weg dorthin über einen Mann und eine Frau, die offensichtlich versuchten, in den Mund des anderen zu schlüpfen. Am Klo erwartete mich zwar keine Partymusik mehr, aber Stöhnen und Klatschgeräusche.
Ich schloss mich ein, nur um festzustellen, dass hier wohl jemand Feenstaub am Toilettensitz gezogen hatte. Das Toilettenpapier war alle. Vorsichtig griff ich mit dem Ärmel meiner Fleece-Jacke den Deckel an, um das Klo zu schließen und mich darauf zu setzen.
Magische Bars. Ehrlich.
„Frohes neues Jahr, Nathan“, murmelte ich und vergrub mein Gesicht zwischen meinen Armen. Wieder blinkte das „Warum“ in meinem Kopf. Ich dachte an Nina, ihren Mund, ihren Gesichtsausdruck und meine Starre. Wie ich „Toilette“ geflüstert hatte, aber in die andere Richtung verschwunden war.
Nicht Nina. Nicht sie. Von allen Menschen, die ich verlieren konnte, wollte ich nicht ausgerechnet meine beste Freundin hergeben. Das war nicht fair. Das war, verdammt nochmal, nicht fair! Was sollte ich noch opfern? Ich gab schon meine Magie auf. Ich durfte bei Familienfesten nicht sagen, dass Frauen mich kein Stück interessierten. Meine Familie würde Kafka zu einer zweiten Verwandlung inspirieren, in der der Käfer schon auf Seite drei freiwillig aus dem Fenster springen würde. Was wollte das Universum noch von mir? Ich richtete mich wieder auf, starrte auf die Tür vor mir, nur um die Augen zusammenzukneifen.
Fünf Sterne schimmerten auf ihr in verschiedenen Glitzerfarben. Atraxara’sch de teneles stand geschwungen in der Mitte. Der Spruch war so bekannt, dass selbst ich wusste, was damit gemeint war: Das Knistern der Sterne wird deine Dunkelheit lieben.
Blöde Verarschung hier. Zwischen den Rauhnächten gab es die tewranische Tradition, Sterne in die Luft zu schleudern und sich was zu wünschen. Sie sollten die Dunkelheit nicht vertreiben, sondern angenehm gestalten. In manchen Regionen gab es sogar den Brauch, sich Zauber in die Handflächen weben zu lassen, um mit seinem Beziehungsmenschen einen Stern zur Welt zu bringen, der in den Himmel stieg und das Knistern in der Liebe erhalten sollte.
Mir wurde schlecht. Vielleicht lag das aber auch mehr an meinen Nachbarinnen, die seit fünf Minuten kicherten und – wenn ich ihrem Gespräch glauben durfte – aus ihrem Urin Goldfische zaubern wollten, um sie gegen die Decke fliegen zu lassen.
Ein guter Zeitpunkt, um das Klo zu verlassen. Ich wusch mir die Hände, aber ignorierte den Spiegel vor mir, weil ich nicht wissen wollte, wie sehr meine braunen Haare mittlerweile einem Vogelnest glichen.
Ich bewegte mich gerade durch die Tür zurück zur Bar und die Musik war wieder deutlich leiser. Ich strebte auf den Eingang zu, als ich den sich kräuselnden, schwarzen Haarschopf entdeckte. Ein roter Schal. Runde Brillengläser. Ein grauer Mantel um den Arm geschlungen. Verlaufene Mascara. Suchend. Fuck.
Das war Nina. Aber…
Wieso verlief sie sich ins Atraxas? Was tat sie hier? Und bevor ich lange überlegte, schob ich mich durch mehrere Menschen wieder zurück, rettete mich zur Hinterseite der Bar und stieg über eine Bierkiste, die wohl zur Abgrenzung der Gäste dienen sollte. Nina drehte ihren Kopf in meine Richtung und ich duckte mich. Ich umfasste die Kante der Bar, kroch zurück, bis ich komplett hinter der Bar war. Ich schluckte. Hatte sie mich gesehen?
Die Barkeeperin stand nur einen Meter von mir entfernt, wandte mir den Rücken zu und befüllte gerade ein Segelschiff. Ich verharrte, schaute mich um – wie kam ich wieder hinaus? Der Bartresen war untenrum verschlossen und bot eine breite Arbeitsfläche. Perfekt zum Verstecken. Aber ich konnte doch schlecht den restlichen Abend unter der Bar sitzen – und wie sollte ich das der Barkeeperin erklären? Ich schielte gerade an den Beinen der Barkeeperin vorbei, als sie sich zu mir umdrehte. Hektisch drängte ich mich unter den Tresen, neben zwei Weinkisten und stolperte … über einen Schuh? Saß da schon wer?
„Na?“, fragte mich eine männliche Stimme. Meine Haut kribbelte wie eine Wunderkerze.
„Na?“, erwiderte ich trocken, obwohl mein Herz mir fast aus der Brust sprang. Bekam ich jetzt Ärger? Flog ich gleich aus der Bar? An Nina vorbei? Großartig.
Doch mein Sitzkollege wirkte nahezu entspannt. Unter der Bar war die Musik leiser, die Lichter schummrig. Immer wieder leuchteten in meinem Rücken kleine, grüne Spots auf und pulsierten wie Herzschläge. Der Mann saß im Halbschatten, sein Gesicht bot mir nur eine Ahnung von Kanten und Rundungen, seine Haut hell, eine spitze Nase. Er schmunzelte. Seine Haare hoben sich deutlich von der Finsternis ab und schienen nahezu silbern zu leuchten. Und … aß er eine Banane?
Wie zur Bestätigung schmatzte er. „Auch zu viel getrunken?“
„Leider nein“, antwortete ich und er deutete mit seiner Banane auf mich.
„Nimm dir sonst gern eine Flasche Wein neben dir.“
„Danke?“ Ich zögerte. Warum saß er hier? Warum bot er mir einfach Wein an? „Versteckst du dich auch?“
Die Frage führte dazu, dass er fast an seiner Banane erstickte.
„Nein, ich soll mich hier ausnüchtern.“ Biss er sich gerade auf die Zunge? „Ich arbeite hier.“ Wie zur Bestätigung zog er an einem seiner Hosenträger, der laut schnalzte. „Aber Joshua holt mich vermutlich bald ab.“
„Oh?“, machte ich. Warum sprach er mit mir, als würden wir uns kennen? Als würde ich wissen, wer Joshua war? Ich wusste nicht, was mich mehr verwirrte: Der Typ, die Banane, der Hosenträger.
„Und du versteckst dich hier?“
Ich nickte, sagte Ja, weil ich nicht wusste, ob er das im Halbdunkeln überhaupt erkennen konnte.
„Interessantes Versteck. Blaue Jagd oder Hexenjagd? Oder Schulden bei einer Gilde?“
„Eh … nichts davon?“, erwiderte ich. Was glaubte der, wer ich war? Ich brachte es ja nicht mal zustande, eine anständige Haushaltsversicherung abzuschließen.
„Ah“, machte er und was bedeutete dieses „Ah“? Wieso klang er so, als wäre ihm jetzt alles klar? „Also eine Affäre?“
„Keine Affäre.“
„Stalker oder Stalkerin?“
„Nein.“
„Wütender Ex-Freund oder Ex-Freundin?“
Mein Herz setzte erneut aus bei seiner Frage. Menschen in meinem Umfeld sprachen so nicht. Nicht offen. Ich war ein Mann, da MUSSTE auf Biegen und Brechen nach einer Ex-Freundin gefragt werden. Er öffnete mir einen Raum. Wer war dieser Kerl? Seine Fragen wirbelten meinen Kopf auf, als würden sie einmal durch meine für die Gesellschaft angelegten Aktenschränke wühlen.
„Kein Ex-Freund“, sagte ich und fühlte mich, als würde ich etwas hergeben, von mir abwerfen, eine fremde Haut loswerden. Ich atmete tief durch und zitterte. Fuck. Nathan! Fang jetzt bloß nicht an zu heulen. „Aber eine beste Freundin, die mir ihre Liebe gestanden hat.“
„Oh“, machte er und richtete sich etwas auf. „Ich verstehe.“
„Und die jetzt hier in der Bar aufgetaucht ist, nachdem ich einfach davongelaufen bin und mir sicher war, dass sie mich hier niemals finden würde, weil wir nie, nie, nie ins Atraxas gehen.“ Ich seufzte und zuckte im selben Moment zusammen. „Was, also, erm … Damit will ich natürlich nicht sagen, dass das eine schlechte Bar ist.“
Er gab seltsame Geräusche von sich, kurz hatte ich Angst, dass er jetzt endgültig erstickte, da brach ein Lachen aus ihm raus. Es klatschte mir die Hitze ins Gesicht, die unter der Bar eh schon mehr als genug war. Alles daran füllte mich mit Wärme – der Ton stieg mir mitten in die Brust und wickelte sich um mein Herz.
Er entlockte mir ein Lächeln. Pulsierten die grünen Spots hinter uns schneller? Fügten sie sich dem Takt der Musik?
„Ich hab wirklich keine Ahnung, wie sie mich hier gefunden hat“, sagte ich erneut.
„Oh, das ist einfach“, meinte mein Gegenüber. „Es liegt auf der Hand, Menschen entweder dort zu suchen, wo sie nie freiwillig hineingehen würden oder dort, wo sie immer sind. Wenn sie sich vor dir verstecken würde – wo hättest du sie dann gesucht?“
Natürlich. Ich war so naiv. Wenn Nina sich vor mir verstecken würde, würde ich wahrscheinlich neben ihrem Zuhause auch zuerst die Orte kontrollieren, wo ich sie niemals vermuten würde. „Vermutlich hier“, murmelte ich – keine Ahnung, ob er mich hörte, und zog meine Knie an mich ran, um mein Kinn auf ihnen abzustützen.
Er räusperte sich, atmete hörbar durch, obwohl über uns die Musik wummerte. „Keine Angst, du bist hier sicher“, sagte er und mein Bauch verknotete sich. Gut, dass er mich kaum sehen konnte – mein Kopf glühte und zersprang vermutlich bald wie eine Feuerwerksrakete. „Auch wenn dir die Bar nicht gefällt“, fügte er amüsiert hinzu.
„Das habe ich doch gar nicht gesagt!“, erwiderte ich und der Typ lachte. Meine Knochen bebten. Wie konnte ein Mensch sich sofort so warm anfühlen? Wie? „Ich meine, die Einrichtung ist“, durch meine Gedanken sausten die Uringoldfische, „durchaus bewegend?“
Erneut lachte mein Gegenüber. „Warum bist du dann nie hier?“ Er beugte sich etwas vor, sodass er sich genau in den grünen Spot bewegte und mir sein Gesicht zeigte. Fuck. Wo war ich hier gelandet? Der Typ sah aus wie jemand, der Städte in die Schlaflosigkeit trieb und Büchern nur einen Satz zuflüstern musste, sodass sie ihre eigene Geschichte vergaßen und lieber seine hören wollten. An ihm würde ich mir die Buchstaben brechen. „An dich könnte ich mich auf jeden Fall erinnern“, raunte er und in meinem Mund nur Staub und Brösel.
„Arbeitest du denn jeden Abend hier?“, fragte ich und wandte meinen Blick ab.
„Vilasch“, meinte er, was so viel wie Touché bedeutete und mein Großvater – der Istalisch sprechen konnte – auch viel verwendet hatte. „Ehrlich gesagt bin ich heute nur eingesprungen. Ich arbeite schon eine Zeitlang nicht mehr hier.“
„Hmm…“
„Aber ich bin immer noch oft hier, um …“ Er setzte sich um, sein Knie streifte mein Bein, als er sich mir mehr zuwandte. Seine Hand berührte dabei meinen Oberarm. War das Absicht? Mein Hals fühlte sich plötzlich an, als hätte ich eine Wunderkerze gefressen. „Menschen kennenzulernen.“
„Menschen?“
„Menschen“, sagte er und alles an seiner Betonung schoss mir mitten in den Bauch, nur um sofort eine Etage tiefer zu rutschen. Ich wusste nicht, dass Menschen einem mit Worten so einheizen können.
„Also auch Männer?“, fragte ich, obwohl ich die Wörter kaum über die Lippen brachte. Mir war so heiß, dass ich kurz davor war, tatsächlich eine der Weinflaschen zu öffnen.
„Manchmal auch Männer.“ Er betonte jedes Wort so langsam, das mein Herz schon anfing, im Takt seiner Silben zu schlagen. „Wo bist du denn, wenn du nicht hier bist?“
„An der Uni. Oder im Buchladen.“
„An welcher?“
„Hier, in Salzburg“, antwortete ich und mich streifte einen Moment die Angst, dass er an jemandem das Interesse verlieren könnte, der etwas Amagisches studierte. Ich schloss die Augen. Wieso dachte ich jetzt an sein Interesse? Warum war mir das nicht egal?
Weil er dir mit Worten einheizt, du verdrehter Wortliebhaber.
„Was studierst du denn?“
„Geschichte, Germanistik“, ich schluckte. „Philosophie. Aber ich bin bald fertig.“
„Und da gehst du nie außer Haus, weil du so viel zu lesen hast?“ Wieso klang alles, was er sagte, nach einem Flirt? Wie viele Wunderkerzen konnte er in meinen Hals setzen, bevor ich explodierte?
Ich seufzte. Konnte ich ihm die Wahrheit sagen? Schoss ich mich dann sofort selbst ins Aus? Mal wieder? Ich wand mein Gesicht von ihm ab, nur um einen Stern zu sehen, der auf uns zutänzelte. Mein Sitzpartner reichte ihm die Bananenschale und der Stern band sie um sich, sodass der Rest wie ein Cape an ihm hinabfiel. So flog er davon. Ich knabberte an meiner Lippe, bevor ich ehrlich antwortete: „Es ist die Magie.“
„Was?“, fragte er und klang ehrlich überrascht.
„Ich komme hier nicht her wegen der Magie.“
„Warum?“
„Also, das ist … eine längere Geschichte.“
„Lass dir Zeit“, sagte er und seine Worte führten dazu, dass ich einen Atemzug nahm, bevor ich weitersprach.
„Ich habe Angst davor, dass die Magie mich verführt.“
Hier kommst du zum zweiten Teil von Atraxas: Danach.
Oh wie gerne ich jetzt im Atraxas zwischen Sternen und Segelbooten tanzen würde! 😍 WOW WOW WOW. Kanns kaum erwarten zu lesen wie es weitergeht!! 🫶🏼